Das erste Ei und ein faules Ei

 Das erste Ei!

Meine Frau stört meine Proben eigentlich selten oder gar nicht, insbesondere, wenn ich gemeinsam mit meinem Bassisten an einem neuen Song arbeite, dem „Chickendays –Chickenways“-Titelsong. Aber es war dieser eine Moment, den ich nicht verpassen durfte: Stolz trug sie zwischen Daumen und Zeigefinger das erste Ei in den Probesaal. Ein stattliches Ei für eine Junghenne. Ganz offensichtlich das Willkommensgeschenk eines unserer beiden Sussex-Hühner. Die sind weiß und ein bisschen pummeliger als ihre eleganten Mitbewohner, die Königsberger, legen aber braune Eier. Diese Produktivität war für uns Anlass zu höchster Freude, während mich vor zwei Wochen die Produktivität eines ZEIT-Dossier-Chefredakteurs in eine Mischung von Faszination und Ekel versetzte, die mich befähigte, volle sechs Seiten der Wochenzeitung zu lesen.

 


Es war ein vermeintlicher Enthüllungsartikel über ein Stillhalteabkommen zwischen der Tierrechtsorganisation PETA und der Massenhühnerzucht Wiesenhof. Zwar soll dieses Abkommen bereits 12 Jahre alt sein und einen Beleg dafür gibt es nicht, stattdessen eine handvoll weiterer Prozesse zwischen den Beiden. Das Dossier berichtete darüberhinaus von einem Sternchen, das nackt für PETA und gegen Pelze zu Felde zieht und man bekam Einblick in das Privatleben eines PETA-Mitarbeiters inklusive seiner Krankenakte und vermeintlicher erotischer Abenteuer des Alt-68ers. Warum nur? 




Diese sechs Seiten waren verfasst von erwähntem Chefredakteur der Abteilung und einer jungen Enthüllungsjournalistin. Es las sich wie die Anklage eines gehörnten Nebenbuhlers und einer verstoßenen Geliebten, wie man es eher als klebrige Glosse in der Boulevardpresse erwartet hätte. Tatsächlich ist der Chefredakteur Sportangler, gehört also einem Verein an, wo man nicht zwingend für den Verzehr angelt, sondern gerne nimmt man auch den stattlichen Hecht an den Haken, um sich mit ihm fotografieren zu lassen, so wie es Großwildjäger in der afrikanischen Steppe mit der erlegten Giraffe tun. Entsprechende Verbände stehen unter Dauerbeobachtung von PETA. Die Journalistin, nun ja, sie ist die hierarchisch Untergeordnete. Diese Form rundum schlechten Journalismus kann in der Printversion zu Leserbriefen und Gegendarstellungen führen. Ich habe auch sofort einen geschrieben, der aber nicht gedruckt wurde. Dem Chefredakteur/Sportangler waren nämlich ein paar grundlegende Fehler unterlaufen, die einem Anfänger schon mal passieren können: Er hatte vergessen, dass er nicht mehr für die WAZ-Gruppe oder die Springerpresse schrieb und dass die Geschichte einen Mangel an Aktualität hatte. Darüberhinaus hatte er vergessen zu erwähnen, welches Eigeninteresse bestand den Artikel zu verfassen oder sich wenigstens mit Hechtfoto zu zeigen. Und dann unterschlug er noch sämtliche Belege für das Stillhalteabkommen, den Pakt, das Bündnis, das er beschrieb. Am wichtigsten aber, er verwechselte Täter und Opfer: So wurde PETA zum Täter und Wiesenhof zu Opfer. Heute kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass ich sehr froh bin, dass er kein Geflügeljäger ist. Und ich bin auch sehr froh, dass unsere Hühner noch nicht hier waren und bisher auch nicht den Eindruck erwecken, sich für derartiges Geschreibsel zu interessieren.

Weniger froh bin ich – und da kommt die fast noch neue digitale Welt zum Tragen –, dass das Dossier noch weitere Verbreitung fand: Es landete auch als vorgelesene Version bei Spotify, einem hochfrequentierten Streamingdienst. Die ZEIT hat ein makelloses Image, befriedigt seit Jahrzehnten das bürgerliche Gemüt diverser Lehrergenerationen, mit Ledertasche auf die mit Edding ein Peace-Zeichen gemalt ist. Glaubwürdigkeit kein Problem. Bei Spotify aber gibt es keine Gegendarstellungen, keine Leserbriefe und keine Kommentare, die so etwas entlarven. Dafür aber gibt es zahllose junge Menschen, die sich informieren wollen, ohne auf den dicken Schinken ZEIT zurückzugreifen. Hier wurde der Hühnerhof Wiesenhof geschont. Die Kämpfer für Tierrechte von PETA mussten unter dem Titel „Die Scheinheiligen“, die private Vendetta eines Sportanglerchefredakteurs erdulden. Junge Podcasthörer hatten keine Möglichkeit zu erfahren, wie die Quellenlage aussieht. Meinung gemacht, Huhn tot.

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