Die Hühnerrepublik


 

Die Hühner haben eine Republik gegründet. Sehr demokratisch und doch vollkommen indidvidualisiert verfolgen sie derzeit ein gemeinsames Ziel: die Futtersuche. Aber man kann das Potential für eine Revolution erkennen. So schielen sie oft durch das schützende wie begrenzende Volierengitter und reden möglicherweise bereits über die große Freiheit. Doch der Klimawandel und ein paar andere Umwelteinflüsse machen ihnen vorläufig einen Strich durch die Rechnung, denn die Vogelgrippe ist in diesem Jahr besonders hartnäckig und eine Öffnung des Stalls erst in Sicht, wenn das Wetter die Viren  einlädt sich zurück zu ziehen. Bis dahin werden sich die Hühner noch um die Tür lümmeln durch die sie täglich Besuche bekommen und ihnen das Futter gereicht wird.

Der Vergleich zu Menschen unter den Beschränkungen der 

Coronapolitik drängt sich auf. Da allerdings sollte man davon ausgehen, dass Informationen über die Gefahren zurückgewonnener Freiheiten Wirkung hinterließen. Weit gefehlt: Es gibt sogar Hasardeure und echte Gefahrensucher, die das Risiko inkauf nehmen wollen, für sich, aber auch für alle anderen. Dazu kommen zahlreiche Menschen, die gar nicht wissen, dass es die Gefahr des Virusses gibt. Sie sind bisher nicht persönlich betroffen und glauben nur das, was sie persönlich sehen oder erleben. Viele von ihnen spüren, dass da ihre Freiheiten eingeschränkt sind, auch wenn sie tun, was sie sonst auch immer tun, nämlich vor der Autistenglotze sitzen und in der Blase Meinung auszutauschen. Nun ja, Hühner verstehen die Gefahr der Vogelgrippe auch nicht.

Die persönliche Blase in der Autistenglotze schockiert mich nun seit einigen Monaten und zwar meine eigene: Ich lebe, mehr oder weniger, wie ich immer lebe. Im vergangenen Jahr habe ich mit wirtschaftlicher Unterstützung des Landeskulturverband Schleswig-Holstein e.V. ein neues Album aufgenommen: „Dance The Blues“ von Dotor Love Power für Interessierte. Der Unterschied zu den drei vorangegangenen Alben war, dass ich auf diese Hilfe angewiesen war, weil wir kaum Konzerte spielen konnten. In der Folge gab es dann nur geringe Veränderungen. Wir konnten das Album dem Publikum nicht vorstellen, weil wir keine Konzerte spielen dürfen und im Radio läuft ja seit den 1980er Jahren Phil Collins. Die Verkaufszahlen sind also von sehr wenig auf noch etwas weniger gefallen, aber fast nicht spürbar.

Ich habe mich kaum gesorgt, denn in meiner Blase geht es praktisch allen so. Nur das Schielen in Richtung Außenwelt ist da. Musiker und Kulturschaffende im Allgemeinen haben keine Lobby. Also schrieb ich diverse Bundestagsabgeordnete an, um zu fragen, ob man vielleicht eine Art Unterstützung erwarten dürfe. Ein paar Monate später bekam ich sogar Antworten, nicht viele und nicht von allen, aber ich erfuhr, dass uns ja geholfen würde. Wir müssten nur ein par Hürden nehmen und dann wäre ja auch Schluss mit dem Gekratze an der Stalltür. Bei anderen Musikern sah ich, wie sie im Fernsehen einen Wortbeitrag leisten durften, sich bemühten in der Gewerkschaft Rückendeckung zu erhalten und Ähnliches. Ich fand uns laut und sichtbar. Die Mitleidsbekundungen waren auch laut und sichtbar, fast wie der Applaus für das Pflegepersonal. Erst langsam dämmerte mir, dass wir aber nicht mehr als diese Mitleidsbekundungen zu erwarten haben. Schade, denn anders als die Hühner verstehen viele von uns das Virus und seine Bedrohung, würden auch freiwillig darauf verzichten andere zu gefährden. Doch ganz anders als bei den Hühnern können wir mit tröstenden Worten nur ganz wenig anfangen. Wie cynisch der ganze Prozess ist, wurde mir erst klar, als ich von Kollegen erfuhr, vielen Kollegen, die aus der Künstlersozialkasse rausflogen, weil sie ja nun den Hauptteil ihrer Einnahmen aus kulturfernen Nebenjobs generierten. Sie durften dann auch noch Krankenkassenbeiträge nachzahlen.

Dass es sich um eine Blase handelt, die der Hühnervoliere ähnelt, zeigte sich, als kein Aufschrei durch die unter Kulturmangel leidende Gesellschaft ging. Die Hühner werden ihre Freiheit erlangen, ist eine Frage der Zeit, ihre Miete ist bezahlt und sie bekommen reichlich Futter. Mal sehen, was und wer von der Kulturszene noch übrig ist, wenn die Voliere aufgeht.

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