Fitness und Lumumba

 


Bei der vorausgegangenen Diskussion über die künftige Hühnerhaltung zwischen meiner Frau und mir versuchte ich grundlegende Überlegungen ins Spiel zu bringen. So fahre ich sehr gerne die Strecke zum hiesigen Ökobauern mit dem Fahrrad. Es sind 5,5 Kilometer pro Weg, wenn man keine unnötigen Schlenker macht. Da bekomme ich dann manchmal Eier, manchmal nicht, eine Art Spiel und ein Fitnesstraining. Außerdem habe ich vorort eine recht einseitige Kommunikation mit den Hennen. Sie gucken zwar neugierig, wenn ich weltmännisch und politikergleich meinen mutmachenden Monolog und meine Dankeserklärung absondere. Oft verfahre ich mich auf dem Rückweg, weil ich noch an der Milchtankstelle vorbei muss und weil ich über die Kommunikation nachdenke. Dieser Fitnessausflug wird nun in Zukunft auf die Milchtankstelle reduziert werden. Und ich mag Milch eigentlich nur als Lumumba, ein echtes Winter- und Coronagetränk.

Über diesen Verlust hinaus brachte ich die Schnittblume ins Gespräch. Seit wir auf dem Land wohnen, gehört es nicht mehr zu unseren Ritualen, Blumen in einer Vase beim langsamen Siechen zuzusehen und das auch noch für schön zu halten. Blumen stehen einfach so lange sie wollen im Garten rum und sind schön, locken die verbliebenen Insekten und mit ihnen diverse Vögel nebst Fledermäusen an. Fledermäuse sehe ich inzwischen wieder ein bisschen mehr wie in Bram Stokers Dracula. Aber ich nehme an, dass sich das auch wieder geben wird. Mit der Blumenanalogie versuchte ich zu erklären, man müsse ja nicht alles besitzen, was man schön findet. Ein Fingerzeig in Richtung meiner Gitarren beendete meinen Einwand.

Also bemühte ich mich um ein diffizileres Argument. Wir wollten doch die Welt bereisen und die Hühner können da doch nicht mitkommen. Meine Frau sagte Corona.

Dann hatte ich es, glaubte ich. Wir domestizieren und machen uns Lebewesen zu Untertan, die wir ehren und grundsätzlich als gleichwertig betrachten wollen. Wir sperren sie ein, damit sie uns Eier legen und wenn sie alt werden und keinen Bock mehr haben dauernd Eier zu legen, dann soll ich ihnen den Hals umdrehen? Sie werden Namen haben, Roberta, Sandra, mit Spitznamen Sandy, Brunhilde, Linda, Bonnie und vielleicht Greta. Nun gibt es viele Leute, die sich Greta in den Kochtopf gewünscht haben. Aber zu denen gehören wir nicht und Hexenverfolgungen sind fürchterliche Entgleisungen des Mittelalters. Überhaupt ist Deviantentum ja eher eine Wohltat. Und Greta, ja sie ist ein Hoffnungsschimmer. Sie hat den orangenen Gockel vorgeführt und die Automobilindustrie vor die Aufgabe gestellt, sich weiter zu entwickeln.

Wahlweise betonten Wirtschaftsfreunde, Dieselanhänger und Kreuzfahrer, dass es keinen menschgemachten Klimawandel gäbe, dass Greta unter Asperger-Syndrom litte oder dass sie eine Marionette geschickter Marketingexperten sei. Es war nicht so klar, welches Interesse diese Marketingexperten verfolgten, welches Produkt sie mit Greta verkaufen wollten, aber man hatte sich wenigstens mal Luft verschafft und konnte hinterher noch ein selbstsicheres Weiter so seufzen.

Dann wuchs der Markt der Hybridautos, eine Art Mogelpackung mit Steuervorteil. Beruhigt konnte man weiter Verbrennungsmotor fahren und sagen, dass man ja auch auf E umschalten könnte, man beachte den Konjunktiv. Und E-Mobilität hat ja ohnehin viele Nachteile: Die Zahl der Hühner, die zu Roadkill werden sinkt nicht. E-Autos brennen praktisch unlöschbar, – wenn sie brennen – und die Batterien brauchen seltene Erden, die unter unwürdigen Umständen in Dritte Welt Ländern abgebaut werden. Endlich konnte man mit sozialem Gewissen punkten und auch zum ersten Mal die Ausbeutung der Dritten Welt ohne schlechtes Gewissen für sich zum Thema machen. Sogar mit dem Smartphone mit den seltenen Erden in der Hand konnte man sich empört darüber austauschen, um sogleich im neuen SUV weiter via Fernsprecheinrichtung den Einkauf zu besprechen.

Was also wenn sich die Hühner bei uns gar nicht wohlfühlen? Werden wir das merken? Vielleicht mögen sie auch ihre Namen nicht? Ein Mensch kann sich umbenennen lassen, wenn seine Eltern den Großvater Adolph als Namensvetter gewählt habe, aber es gibt sicher eine ganze Menge Kevins und Cindys, die still und heimlich sehr unzufrieden mit ihrem Namen sind. Auch ich habe oft anders heißen wollen, lieber John als Björn und auch lieber John als Fats, aber als mir klar wurde, dass John Johannes ist, nun ja…
Der Mensch ist in der Lage, sich damit abzufinden oder sich Spitznamen basierend auf dem Nachnamen geben zu lassen, Kevin Müller etwa rufen seine Freunde dann Mülli. Eine weitere Möglichkeit ist der komplette Rückzug aus der realen Welt, die Abschottung vom sozialen Umfeld und der Beginn eines neuen Lebens, eines second life in der digitalen Welt. Da ist man dann, wer man sein möchte und man muss nichts dafür tun, außer sich einen möglichst aktuellen Computer zu kaufen. Den Hühnern hingegen fehlen nicht nur diese Möglichkeiten, sie können nichtmal ihren eigenen Namen aussprechen. Was wird das mit ihnen machen? Entschlössen wir uns also gegen die Hühnerhaltung vermieden wir möglicherweise eine Menge leid. Ich war fertig, der klapprige Stall bestellt, meine Frau glücklich, denn sie hatte mir nicht zugehört. Ich möchte eines der Hühner Julia nennen.

Die Hühner haben ihre Namen bekommen, reagieren aber bisher gelassen darauf – genau genommen gar nicht. Julia und Greta sind dabei, Lydia legt schon Eier...

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