Vorfreude und die große Leichtigkeit

 


Die Entstehung des Hühnerstalls hat auch noch ganz andere positive Seiten. So habe ich mich in den vergangenen zwölf Monaten oft massiv geärgert. Zunächst erfuhr ich eine Art Berufsverbot. Konzerte, Veranstaltungen und Kultur wurden abgesagt, dann kam die großzügige Förderung des ökologischen Umbaus mithilfe von Rettungspaketen für ökologisch wertvolle Unternehmen wie Lufthansa, TUI und jetzt auch den Flughafengesellschaften. Die vom Bilderberger Scholz angekündigten Rettungspakete für Soloselbständige hatten hervorragende Sicherungsmechanismen eingebaut. Zwar wollte man die Kulturbranche nicht pauschal unter Generalverdacht stellen, aber um Missbrauch zu verhindern… So wurden also aus Corona-Überbrückungshilfen mit Wums, Konjunkturpakete für Steuerberater. Und soloselbständige Kulturschaffende, die unanständigerweise beim Finanzamt gemeinsam mit ihren Ehepartnern veranlagt werden, sollten mal grundsätzlich schön die Füße stillhalten. Aber glücklicherweise waren die Überbrückungshilfen ja ohnehin nach der biblischen Richtlinie „them that’s got, shall get!“ angelegt und nicht etwa nach Bedarf ausgerichtet. Und jetzt konnte ich mich also endlich mit meiner realen Zukunft befassen: Hühner.


Ich musste mir keine Gedanken mehr darüber machen, dass der Arbeitsmarkt über Technologisierung und künstliche Intelligenz schrumpfen wird und sich das bestehende System ad absurdum führt, beziehungsweise das Monopoly nun in die Endphase geht. Auch die Satelliten von Elon Musk kann ich unbeschwert als Schauspiel am Himmel wahrnehmen. Und Jens Spahns Worte von der Reform des Gesundheitssystems durch Einsparungen kann ich vergessen. Altmaiers Empathie kann ich als historische Tragikomödie sehen, ebenso wie die Bemühungen der SPD und ihres Arbeitsministers Heil um die Genossinnen und Genossen der Arbeiterklasse, die es ja schon recht lange praktisch gar nicht mehr gibt. Eigentlich sollte Heil doch die Statistiken kennen und seine Diktion ändern, wenn er möchte dass die SPD jemals wieder mehr als 15 Prozent der Wähler erreicht. Da müsste er doch nur mal gucken, ob die Arbeiterschaft dafür wirklich noch reicht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass es niemanden in der Politik zu geben scheint, der einen weiteren Blick wagt und eine sozial und wirtschaftlich gerechte Utopie entwirft. Aber auch die weltweiten Entwicklungen mit Militärregimen, Autokraten und Nazis, wie all jenen Anhängern solcher Parteien wie Front National in Frankreich oder der AfD in Deutschland können mich nur noch beiläufig berühren, denn ich werde Hühner haben.

 

Vorgestern ereilte mich allerdings dann doch die Realität in ihrer profansten Art: Am Morgen liefen ein paar wenige begeisterte Nachbarn auf dem Karpfen- und Dorfteich Schlittschuh. Es war reichlich Platz und die Freude groß. Meine Frau bastelte und baute am Hühnerkäfig mit Blick auf den See, denn die Hühner sollen es ja gut haben. Langsam gesellten sich mehr und mehr Menschen zu den Schlittschuhfahrern, viele noch auf Kufen, doch dann veränderten sich langsam die Proportionen. Die Kufen nahmen ab, die Zahl der Menschen stieg. Da es sehr kalt war, kamen sie mit ihren Autos, Pick-Up-Trucks, SUVs und was man eben so braucht, um 500 Meter zum Dorfteich zurück zu legen. Sie standen zusammen in kleinen Gruppen, mal drei, mal zehn, mal zwanzig, sie tranken Glühwein und machten etwas an, was sie für Musik halten: Dumpfe Klänge, dumpfe Wortspiele – „Wie heißt die Mutter von Nicki Lauda? Mama Lauda.“ Es wurde lauter und Flaschen klirrten, ein Feuerfass wurde entzündet. Das könnte man natürlich als Glückseligkeit, Unbeschwertheit und vor allem Ausnahme sehen und sich freuen, schließlich ist so ein Winter ja bisher recht selten. Bei meiner Frau und mir löste die Versammlung andere Gedanken aus: Weniger waren wir besorgt, wie wohl die Hühner auf das Feuer in der Tonne oder die dumpfen Beats oder die betrunkenen Stimmen reagieren würden, mehr beschäftigte uns, wen meine Frau wohl in den kommenden Wochen auf ihrer Intensivstation wiedersehen würde. Niemand trug eine Maske und jeder der eine getragen hätte, wäre ein Spielverderber, eine Spaßbremse, ein Außenseiter oder schlimmer noch, die Stimme der Vernunft gewesen. Wir haben uns schuldig gemacht, denn wir haben nicht reagiert.

 

Die neue Leichtigkeit, die die Hühner mit sich bringen werden, beflügelt uns geradezu. Meine Frau hat nun geklärt, dass die Bevölkerung am 3. März bei uns einziehen kann, dabei plant sie gezielt eine Multikultigesellschaft: jeweils zwei Hühner der Rassen Araucana, Maran und – etwas simpel von der Namensgebung – Junghenne. Sie legen grüne, schokobraune und braune oder weiße Eier. Uns ist das eigentlich egal. Aber das Prozedere ist festgeschrieben und lenkt ein bisschen von der Lagerhaltung geflüchteter Menschen in Griechenland ab. Denn die Hühner müssen sich auch erst an die neue Umgebung gewöhnen und dürfen keinesfalls gleich unkontrolliert rumrennen – Eier legen sollen sie allerdings sofort. Geflüchtete dürfen zunächst weder rumrennen noch Eier legen oder andere Arbeit verrichten. Unsere Hühner aber werden es nicht nur besser haben, als Geflüchtete in Moria, sondern auch besser als es unsere Landwirtschaftsministerin und Weinkönigin, die Bundes-Julia vorsieht. Wir werden sechs Hühner auf etwa sechs Quadratmetern kasernieren, bevor sie dann auch noch einen gesonderten Teil des Gartens mit Bäumen und eigenem Tümpel erobern dürfen. Die Bundes-Julia sieht für den gleichen Platz durchaus die Möglichkeit 90 Hühner unterzubringen. Aber daran wollen wir uns nicht beteiligen. Wobei die ehrenwerte Ministerin Klöckner vor ein paar Tagen einen Satz geschrieben bekommen hat, den sie voller Freude und Stolz vortrug, der mich zunächst in Erstaunen und Entsetzen gleichermaßen versetzte: „Ohne Artenvielfalt gibt es keine Landwirtschaft und ohne Landwirtschaft keine Artenvielfalt.“ Neben ihr saß die Bundesumweltministerin Svenja Schulze und verzog keine Miene. Eine bravouröse Leistung höchster Selbstbeherrschung bis zur kompletten Selbstverleugnung, hätte ich doch eine ad hoc-Reaktion auf so viel geballten Schwachsinn erwartet. 

Hier ging es um den Insektenschutz und Frau Klöckner erklärte auch, dass man sich Zeit nehmen müsse, um zu überlegen, welche Schritte man eben einleiten kann und welche nicht, also ob man Glyphosat einfach verbieten könne. Diese Überlegungen bewegen Frau Klöckner nun schon ein paar Jahre und man muss natürlich jetzt auch keine intellektuellen Wunder oder gar Überraschungen erwarten, schließlich gab es sowas im Landwirtschaftsministerium noch nie – wenn es nicht um Subventionen ging. Normalerweise verliere ich grundsätzlich die Fassung, wenn die oberste Lobbyistin der industriellen Landwirtschaft den Mund aufmacht. Diesmal aber, Dank ihrer philosophischen Einlassung fühlte ich mich in meinem Drang Hühner zu halten bestätigt, denn auch hier tun meine Frau und ich ja etwas für die Artenvielfalt. So war ich zum allerersten Mal an der Seite von Frau Klöckner, irgendwie ein erhebendes Gefühl.


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