Die Hühnerzeit




Veränderung ist ja ein eher wertfreier Begriff. Es gibt erzwungene Veränderungen, wie die Stallpflicht für die Hühner oder die Stallpflicht für den Menschen wegen der Pandemie. Für die Hühner wird es eine „Nach-der-Grippe“-Zeit geben, in der sie alte und neue Freiheiten entdecken. Für uns Menschen wird es da etwas schwieriger. Eine „Nach-Corona“-Zeit wird es so ohne Weiteres nicht geben und auch alte Freiheiten kehren wohl kaum einfach so zurück. Aber jetzt, da sich die Kulturszene bereits ein Jahr im Lockdown befindet, hat sich Wegweisendes gezeigt.

Verbitterung und Verzweiflung machen sich breit. Lippenbekenntnisse, statt konkreter Hilfen kommen aus der Politik. Hunderte Programmierer haben Probleme eine Website zu erstellen, die der Bund braucht, um die Hilfen den Soloselbständigen zukommen zu lassen. Nun ja, Hunderte Programmierer an einer Website arbeiten zu lassen scheint mir ohnehin eine sehr schlechte Idee oder ein Ausspruch massiven Unwissens. Ein einzelner oder maximal zwei Programmierer wären eine adäquate Lösung, wenn es denn überhaupt eine Website braucht. Bei mir funktioniert das System ganz anders. Ich rufe die Website meiner Bank auf, logge mich ein und mache Überweisungen, richte Daueraufträge ein und was man eben so macht bei der Bank, warum nur können das Regierungsvertreter nicht? Selbst die Hühner können an den Futterautomaten treten und sich sättigen.

Der Hintergrund ist vermutlich ein ganz anderer: Die Kulturszene nervt! Sie nervt schon immer. Sie bricht pausenlos mit Traditionen, mit Gewohntem, verdeutlicht Defizite des Bestehenden und bietet im schlimmsten Fall auch noch Lösungsansätze an. Jetzt aber hat man die Szene endlich fest im Griff. Man kann sie hungern und verkümmern lassen und das alles im Namen des größeren Ganzen.

Zwar kämpfe ich täglich mit meinen Nerven, wenn ich die Nachrichten höre, aber ich bemerke zugleich doch, dass das, was ich schon lange weiß, auch jetzt unumgänglich ist. Ich bin auf mich und die Solidarität meiner Freunde angewiesen. Und wenn ich auf mich angewiesen bin, dann geht es ja hier darum, mich der Situation zu stellen. Ich kann jetzt verzweifelt hoffen und warten oder die Situation als Gelegenheit sehen, zur Besinnung zu kommen. In diesem Jahr wird meine Band 30 Jahre alt, hat gute und schlechte Zeiten durchlebt, Erinnerungen geschaffen und gerne wäre ich mit allen überlebenden Mitgliedern zu einem kleinen musikalischen Fest zusammengekommen. Das wird wohl eher nichts.

Wenn ich aber den Blick etwas weite, dann fällt mir auf, dass ich tatsächlich nur dieses eine Leben habe. Immer habe ich mich in verschiedenen Situationen bestmöglich eingerichtet, habe Gewohnheiten entwickelt. Aber richtig spannend und gut wurde es immer dann, wenn ich die ausgetrampelten Pfade verließ. Noch weiß ich nicht so recht, wohin es gehen kann. Vor einigen Jahren teilte ich mir ein Büro mit dem erstklassigen Künstler Peter Boué, einer der einen scharfen Blick auf die Menschheit wirft und einen Innehalten lässt. Seine Bilder sind schwarzweiß und seine Technik ist natürlich erwachsen und ausgereift, aber vielleicht kann ich jetzt ja mal anfangen zu malen. John Lurie von den Lounge Lizzards und bekannt aus dem Film Down By Law malt auch, sehr bunt und sehr naiv. Ein Motiv wüsste ich schon und es ist derzeit auch in einer relativen Zwangsstarre.



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