Kücken und die "Wirtschaft"

 


Sechs Eier, fünf Kücken, ein toller Erfolg! Die Kücken sind sehr scheu und offensichtlich ein bisschen fröstelig, jedenfalls nutzen sie noch die Freiheit kaum, sich aus der Schale gepellt zu haben, verstecken sich lieber unter dem warmen Gefieder der "Mutter" Lydia. Lydia ist freudig, die Kücken hin und her gerissen zwischen Neugier und Angst. Meine Frau, die Oberhenne ist glücklich. Über die erste Impfung der puscheligen Kügelchen haben wir noch nicht gesprochen, aber über die Entwicklungen in der Welt sprechen wir schon.

Ein Problem: Es gibt sehr viele Nachrichten, die unverständlich erscheinen, weil sie auf Regeln basieren, die tradiert sind und deswegen nicht erklärt werden müssen – oder besser dürfen. Sehr oft fallen in diesem Zusammenhang Begriffe wie "Wirtschaft", "Steuern" oder "Rente". Die Leiden der "Wirtschaft" werden immer angeführt, um irrationales, verantwortungsloses, man möchte sagen kurzsichtiges oder gar schwachsinniges Verhalten zu erklären. Da ist etwa das System der Töpfe: Durch das Aufstellen von Töpfen entsteht eine wunderbare Mehrung der Tauschmittel, also des Geldes. Ich überprüfe das seit Jahren, stelle Töpfe auf und doch leeren sie sich schneller, als dass sie sich füllen?

Aber beginnen wir an einer anderen Stelle: Der Kohleabbau, Fracking, die Massentierhaltung, der massenhafte Individualverkehr sind direkte Zerstörung und Misshandlung der Natur, jeder weiß das. Im Namen der "Wirtschaft" wird das Leid in die Länge gezogen, dabei wäre ein sofortiges Ende verantwortungsvoll. Aber da stellt sich die Frage, was denn all jene machen sollen, die sich bisher daran beteiligt haben, jene, die da malochen und kaum auf einen grünen Zweig kommen, vor allem aber jene, die sich pausenlos die Taschen vollstopfen, ohne zu arbeiten. Das sind Fragen, die sich jene, die sich pausenlos die Taschen vollstopfen nicht so gerne stellen und vor allem nicht stellen lassen wollen.

Ganz aktuell ist gerade ein brandheißes Geschäftsmodell, das mich an die Wirtschaft erinnert, die ich immer so lange verstehe, bis ich genug getrunken habe: die Gastwirtschaft. Da spiele ich sehr gerne Dart: Die einfache 18 ist eben nur eine einfache 18, die Tripple-18 hingegen schlägt gleich mal mit 54 Punkten zu Buche. Heiner Garg, FDP-Gesundheitsminister in Schleswig-Holstein möchte nun, dass sich all jene schämen, die wie in der erbärmlicheren Gastronomie "mit der Gabel" anstreichen oder beim Dart jede 18 zur Tripple-18 erklären. Die Verfolgung der überaus gefährlichen Betrüger ist so schwierig, dass man das gar nicht bewältigen, also aufklären kann, schließlich fehlt die digitale Erfassung all jener, die sich in den Pop-Up-Testzentren auf das Virus testen lassen. Da werden dann eben €54 abgerechnet, statt €18. Vielleicht reicht Scham hier nicht?

Auch der Bundesgesundheitsminister schämt sich nicht. Er hatte noch kurz vor der Corona-Pandemie erklärt, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung besser gesichert werden könne, wenn man Hunderte von Krankenhäusern schließt. Das war zwar eine Logik, die sich nicht sofort erschloss, aber durch massives Schweigen erträglicher wurde. Und zum Glück für das Spahn wurden dann ja auch noch ganz andere Probleme offenbar: Gesundheitsämter waren auf dem Stand von Amtsstuben aus der Zeit, als das Fax noch einen Fortschritt darstellte. Völlig überraschend auch stellte sich heraus, dass die Abrechnungsmodalitäten der Krankenhäuser archaisch sind und dass das Pflegepersonal zwar offensichtlich relativ relevant für den Fortbestand menschlichen Lebens sind, aber trotzdem etwas schlechter bezahlt werden, als jede Azubiene in einer Autowerkstatt.
Dass das System einen Heilungsprozess durchlaufen sollte, war deutlich, aber wie? Manche offensichtliche Möglichkeit wird da nicht angefasst, eben wegen jener "Wirtschaft": Bisher etwa gibt es zwei Gesundheitssysteme, eines für die armen Irren, die gerne, wenn sie schwer krank sind, in Doppel- oder Dreibettzimmern liegen, länger auf Termine warten und ganzheitliche Medizin für überflüssig halten und eines für jene, die gerne sehr viel Geld für ein Einzelzimmer bezahlen und eine umfassende Behandlung zum gewünschten Termin bekommen. Für diese beiden Systeme sind zahlreiche gesetzliche und private Versicherungskonzerne verantwortlich. Und sie machen ihre Sache gut, jedenfalls so ganz und gar für sich gesehen: So hat jede dieser Versicherungsgesellschaften einen Vorstand und einen Aufsichtsrat, es gibt Rückversicherer und sehr oft Aktionäre. Die wollen und müssen alle mitfinanziert werden, sonst leidet die "Wirtschaft". Hätte jetzt das Gesundheitssystem – ein "übel gleichmacherischer" Gedanke – nur eine Versicherung mit nur einem Vorstand und einem Aufsichtsrat, wären lauter Leute, die es gewohnt sind, für sehr viel Geld nicht zu arbeiten plötzlich ohne Einkommen. Nun ja, da spricht man mal besser nicht drüber, ist doch der blanke "Kommunismus".

Und dann gibt es in Deutschland das "beste" Steuersystem der Welt, mit der umfangreichsten Fachliteratur, die auch nur Fachidioten versteht. Das sind Steuerberater. Dieses System anzufassen, bedeutete wiederum, ganz viele Leute um ihre Einkünfte zu bringen, denn wo kämen wir da hin, wenn jeder Bürger einfach nur seine Einnahmen und Ausgaben verrechnete, ohne im Formular die richtige Zeile oder den richtigen Topf zu treffen?

Vom tollen Humor zu berichten, der das Rentensystem spätestens seit Kohls Zeiten umspielt wird immer schwieriger, da es jetzt um Doppelbesteuerung geht. Das ist ein sehr schwieriger Bereich, denn genau genommen ist Doppelbesteuerung verboten und auch nur mäßig witzig, dabei gibt es zahlreiche Bereiche, in denen Doppelbesteuerung üblich ist – eigentlich alle. An der Tankstelle oder in der Gastwirtschaft etwa, werden auf dieselben Produkte mehrere Steuern erhoben. Da diese Steuern aber in verschiedene Töpfe fallen, nimmt man es nicht so genau. Allerdings beschäftigt mich seit Jahren die Frage, welcher Prozentsatz zu welchem Zeitpunkt erhoben wird, weil das ja die Töpfe unterschiedlich füllt: Wann etwa wird die Benzinsteuer fällig? Vor der Umsatzsteuer oder danach? Und ist das Geld nicht bereits zu diesem Zeitpunkt mit einer Einkommenssteuer belegt gewesen und diversen Abgaben?

Nun ja, Steuern sollen ja der Allgemeinheit dienen, der Infrastruktur, der Bildung und vielen anderen Bereichen, sind also notwendig. Das Tauschmittel aber, das die Wertigkeit verstehbar machen soll, ist Geld. Nur ist irgendwo die Verständlichkeit auf der Strecke geblieben, zumindest für die Hühner. Sie verstehen nicht, wieso CO2-Neutralität dadurch erlangt wird, dass bei einem Flug ein CO2-Preis erhoben wird? Sie verstehen nicht, warum Aktiengeschäfte nicht besteuert werden? Sie verstehen nicht, warum Leute, die eloquent Arbeitsvermeidung betreiben, etwa im Beratergeschäft exorbitant gut bezahlt werden, Krankenschwestern aber nicht? Die Liste ist sehr lang, weil Hühner natürlich recht wenig verstehen, außer eine Gesellschaft zu organisieren, in der sie alle miteinander leben. Allerdings ist bei den Hühnern kein Tauschmittel erkennbar, keine Steuern, kein Wirtschaftssystem und keine Rentensparmodelle etc. Hühner sind ein bisschen primitiv, Menschen viel komplizierter, ja komplexer – aber besser organisiert?

Brandheiß, hochaktuell und daher fast noch unbekannt ist die heutige total überraschende Meldung aus der "Wirtschaft": Die Privatinsolvenzen sind seit Januar sprunghaft angestiegen. Es ist ein Thema, dass die Hühner dringlich besprechen wollen. Daher muss ich jetzt da hin...




 

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